Neophyten im Optimismus

04/07/2011

Des enfants à Marolefo (Commune Manambina, Menabe)

Des enfants à Marolefo (Commune Manambina, Menabe)

Letzte Woche konnte ich endlich eine Woche aufs Feld um mit den Menschen zu sprechen, denen Intercooperation zu Gute kommen soll. Angesichts meiner Arbeit war das überfällig, weil ich von den praktischen und angewandten Aspekten des Projekts viel zu wenig Ahnung hatte und diese Ahnung von Tana aus schwer zu bekommen war.
Vielleicht ist es (nach drei Monaten) mal an der Zeit etwas darüber zu sagen, was ich hier überhaupt für Arbeit mache. Es ist ziemlich schwierig, das Ganze vom üblichen Abkürzungsfreudigen Intercooperation-Slang in eine für externe Personen verständliche Sprache zu übersetzen. Gestern wurde der Jahresbericht des Projekts verteilt, der nun endlich aus der Druckerei angeliefert worden ist. Das Abkürzungsverzeichnis nimmt eine ganze Seite in Anspruch und ist oft für externe nicht besonders hilfreich: PALI = Partenaire Limitrophe – Alles klar ?
Ich arbeite zu zwei Dritteln meiner Zeit auf dem Projekt SAHA. An Arbeitskollegen könnte ich meine Arbeit ganz einfach wie folgt zusammenfassen:
« Je fais la capitalisation de l’accompagnement des PALI par SAHA dans le TGRN. »
Alles klar ?
Aber jetzt mal alles der Reihe nach: SAHA ist eines der Flaggschifff-Projekte von Intercooperation. SAHA ist eine Abkürzung für
« Sahan’Asa Hampandrosoana ny eny Ambanivohitra » (alles kl…
Das heisst: Programme d’appui au développement rural. Dieses Programm ist schwierig zusammenzufassen. Es geht darum, in ländlichen Gemeinden (die hier riesig gross sind) mit Wissen und Vernetzung eine nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände zu erreichen. Es ist ein Projekt, bei dessen Design Intercooperation sehr viel Erfahrung (postivie und negative) aus vorhergehenden Projekten einfliessen lassen konnte.
Das Projekt macht zum Beispiel folgendes:

Grundbesitz
SAHA hat mitgeholfen, eine Behörde für Grundeigentum auf Gemeindeebene einzuführen. Es ist nun in den meisten SAHA-Partnergemeinden für relativ arme Leute möglich, ihre Felder als eine Art Besitz zertifizieren zu lassen. So laufen sie dank Zertifikat nicht mehr Gefahr, durch die Launen von Politikern irgendeinem Landgrabbing-Projekt von europäischen Biosprit-Unternehmen ihre Felder zu verlieren oder sonstwie von ihren Feldern verjagt zu werden. Diese Sicherheit ist ein Grundstein zur Motivation zu langfristigen Planung und Investitionen in ihre Felder und Böden. Kein Mensch investiert Monate ins Graben eines Bewässerungskanals, wenn man nie Sicher ist, ob man morgen seine Felder überhaupt noch bebauen darf.
Früher dauerte die Anerkennung eines Grundbesitzes mindestens zwei Jahre (je nach Zahlungsbereitschaft), kostete Unsummen (je nach Eile) und verlangte viele Reisen in die Hauptstadt der Region (was hier pro Weg locker drei Tage in Anspruch nehmen kann)

Wertschöpfungsketten
Oftmals gibt es an einem Ort super Böden und eine motivierte Bevölkerung zur Produktion von einem Gut, aber es fehlt ein zuverlässiger Anbieter von Grundstoffen/Geräten und potentielle Abnehmer wissen nichts davon. Es reicht oft eine recht einfache Vermittlung von Institutionen, um in der Region einen ganzen neuen Wirtschaftszweig zu generieren. So kann SAHA zum Beispiel in einer Region einer motivierten Dorfgemeinschaft einen Kurs von Staatlichen Landwirtschaftsstelle über die Entwicklung verbesserter Bohnensamen und Anbautechniken vermitteln (und mitfinanzieren) und bei der Hilfe von einem Abnehmer behilflich sein. Wenn der Laden läuft (und das dauert mal länger, mal klappts gar nicht und mal läufts sehr schnell), kann sich SAHA sofort zurück ziehen und die Kanäle für Wissen und für Geld fliessen von alleine.

Transferts de Gestion des Ressources Naturelles (TGRN)
Auf dem Ding arbeite ich. Es gibt in Madagaskar ein juristisches Konstrukt, welches es einem lokalen Verein erlaubt, vom Staat die offizielle Verantwortung über eine natürliche Ressource (Wald, See, Weide, Küstenstreifen, Sumpf,…) zu erhalten. Erhält ein Verein zum Beispiel die Verantwortung über einen See, so sind sie einerseits dafür verantwortlich, dass die staatlichen Nutzungsreglemente eingehalten werden, dürfen aber selber die Gewinne aus der Fischerei einheimsen.
Das System wurde extrem gut durchdacht, ist aber, wie alles auf der Welt, voll von Problemen. Ein kleiner Verein aus ländlichen Analphabeten/innen wird wohl nie in der Lage sein, an der Ostküste eine Edelholzmafia in Zaum zu halten und so alleine ihren Wald zu retten.
SAHA unsterstützt diese Transfers in Tapia-Wäldern (Eine Art Wald, der von weitem fast wie Kastanienwald aussieht) und Seen. Im Fall von Tapia-wäldern haben diese Vereine eine enorme Mühe, den Rest der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es langfristig Sinn macht, Seide herzustellen (Aus den madagassischen Raupen, welche genau diesen Wald zum Überleben brauchen) als den Wald in beängstigender Geschwindigkeit in Holzkohle zu verwandeln.
Bei den Transfers mit den Seen läuft fast alles viel einfacher. Aber dazu später mehr.

Meine Aufgabe ist es hier (zu zwei Dritten meiner Zeit), zu dokumentieren, was SAHA bei diesen „Tranferts de Gestion des Ressources Naturelles“ gemacht hat und was daraus entstanden ist. Ich soll beschreiben, was ähnliche Projekte imitieren sollen, um Erfolg zu haben, und was besser nicht. SAHA ist in seiner letzten Projektphase und nächstes Jahr schliesst das Projekt, wie geplant nach Ablauf der vorgesehenen zwölf Jahre komplett. Damit all das angestaute Wissen nicht in Schubladen verschwindet, setzt das Projekt viele Mittel und Zeit in das Dokumentieren und Verbreiten des Erreichten, damit auch andere Projekte von dieser Erfahrung zehren können.
Damit ich diese Dokumentation machen kann musste ich zuerst über die grosse Hürde, dieses Programm zu verstehen. Damit bin ich noch immer nicht ganz fertig. Lustigerweise heisst es sogar in einer seiner Broschüren
« SAHA est un programme difficile »
Aber Schritt für Schritt bekomme ich den Durchblick. Allerdings merkte ich in den letzten drei Wochen dass ich in praktischen Aspekten des Projektes auf dem Feld eine viel zu kleine Ahnung hatte und dass in den vergangenen zehn Jahren viel zu wenig konkretes Zahlenmaterial zusammengesucht worden ist. Es war höchste Zeit, dass ich meine Fragen an das Feldpersonal und an die „betroffene“ Bevölkerung stellen konnte.
Dafür habe ich eine kleine Expedition nach Antsirabe und Miandrivazo zusammengestellt, um die dortigen Ressourcen-Transfers (beides Seen) zu besuchen und zu dokumentieren. Die kleine Expedition war ziemlich mondän: Ich durfte mir, comme un grand, für fast eine Woche lang einen grossen Jeep und einen Fahrer ausleihen.
Feldbesuche finde ich immer die spannendsten und zugleich extremsten Situationen bei Arbeiten in Entwicklungsländern. Man kommt als dahergelaufener „Spezialist“ in einem grossen, sauberen Offroader daher und darf die neugierigen Fischer mit Fragen zudecken…

Die erste Gemeinschaft war in der Nähe von Antsirabe, einer relativ grossen Stadt 3h Fahrstunden südlich von Tana. Das Klima ist ähnlich wie in Tana – also im Moment kalt. Die erste Sitzung fand in einem dunklen Sitzungsraum eines Büros statt, in dem mir die Finger zum Tippen schon fast zu stark abkühlten… die Fischer durfte ich zum Glück an der Sonne befragen.
Nach zwei Tagen gings weiter nach Miandrivazo. Dieses Städtchen liegt auf halbem Weg zwischen Antsirabe und der trockenen Westküste. Dafür durchquerten wir wieder die wilden Prärie-Ebenen, die ich an meiner Pfingst-Velotour entdecken konnte. Stufe um Stufe fährt man durch wahnsinns Landschaften hinunter von etwa 1200m auf 300 müM hinunter und je weiter man fährt desto weniger besiedelt ist das Land. Erst in Miandrivazo selbst kommt wieder Leben ins Land.  Der Wechsel ist sehr eindrücklich: Plötzlich ist man im Sommer (Es bleibt hier auch in der Nacht noch warm) und alles ist staubtrocken, obwohl die Gegend eine grosse Schwemmebene ist, welche wie in Bangladesh jedes Jahr bei Monsun zu grossen Teilen unter Wasser liegt. Die Böden sind (wenn bewässert) sehr fruchtbar. Auch von den Menschen her ist man klar nicht mehr auf den Hauts-Plateaux, sondern im Gebiet der Sakalava. Vieles wirkt hier viel mehr wie man sich Afrika vorstellt: Die Hitze, der Staub, Grosse Zebuherden, die von mit Speeren bewaffneten Hirten begleitet werden; Kinder mit aufgeblähten Bäuchen, die mit selbstgebastelten Bällen im Staub Fussballtourniere abhalten; barbusige Frauen, die in den Flüssen bunte Tücher waschen; Menschen die zu Fuss mitten im Nirgendwo irgendwelche grosse Packungen auf dem Kopf von weissgottwoher nach irgedwohin tragen; endlose spärlich bebäumte Savannenhügellandschaften (auch hier fehlen nur noch die Elefanten und Giraffen um sich wie in Tanzania oder so zu fühlen),…

Bonjour l'Afrique (manquent plus que les troupeaux de Gnous)

Bonjour l'Afrique (manquent plus que les troupeaux de Gnous)

Fischer aus Manambina

Fischer aus Manambina

noch ein Fischer aus Manambina

noch ein Fischer aus Manambina

Das einzige Wasser ist dasjenige aus dem Fluss oder aus den Seen

Das einzige Wasser ist dasjenige aus dem Fluss oder aus den Seen

In Miandrivazo besuchten wir die Gemeinde Manambina. Vor drei Jahren hat hier SAHA begonnen, die Gemeinde und die Seen-Gemeinschaften im Management ihrer Seen zu unterstützen. Es war extrem Eindrücklich zu sehen, was diese Menschen in nur drei Jahren bei den weiss Gott schlechten Anfangsbedingungen zu Stande gebracht haben.
Die Gemeinde ist zu grossen Teilen in der rund zweimonatigen Regenzeit nicht zugänglich. Grosse Teile sind überschwemmt, die Wege versinken im Schlamm. Mit den kleinen Fischerbooten komme man von der Dörfern wegen der Strömung nicht weg. In einem Dorf erzählten sie mir, dass während diesen zwei Regenmonaten einzig die jungen Männer das Dorf schwimmend verlassen, wenn im Hauptdorf eine Party stattfindet.

Auch bei Trockenheit etwas schwierig zu erreichen....

Die Gemeinde war bis zur Unabhängigkeit Madagaskars Grundbesitz eines „Monsieur Rossignol“, der hier eine Tabakplantage verwaltete. Da die hiesigen Sakalava lieber Zebus züchten hat er Menschen aus verschiedenen anderen Gegenden hierher importiert um Arbeiter für seine Farm zu haben. Monsieurs Rossignol ist in der Zwischenzeit gestorben und seine Erben haben den (schlecht abgesteckten) Grundbesitz an SOCOTAM verkauft. Diese madagassische Tabakfirma hat sich jahrelang einen extrem schlechten Namen gemacht indem sie Bauern von ihren Feldern verjagte und die wenigen Wälder abholzte. Dank einigem Engagement von individuen in den verantwortlichen Behörden (und etwas Vermittlung von SAHA) konnte der Besitz nun endlich klar geregelt werden, was einen grossen Teil der Streitereien geschlichtet hat. Ein anderer besonderer Aspekt dieser alten Plantage ist, dass alle Arbeiter von Monsieur Rossignol komplett versorgt waren. Er hatte eine kostenlose Schule und einen ebenfalls kostenlosen Spital eingerichtet und schützte seine Arbeiter sogar vor der Polizei, wenn diese in der Nachbarschaft Mist gebaut hatten. Wie der Maire sagte, sind viele Menschen hier darum « habitué à l’assistanat » und schwierig davon zu überzeugen, für Dienste einen Beitrag leisten zu müssen.
Im Fall der Seen hat SAHA die Fischer in organisatorischen Dingen ausgebildet und die Beziehungen zur Fischereibehörde aufgebaut. Diese hat die Fischer systematisch in der Anwendung der Reglemente und überhaupt, in „Fisch-management“ ausgebildet (man kann das hier glaub so nennen – die Seen sind so klein, das ist schon fast eher eine Fischzucht).
Das hat den Fischern erlaubt, den Teufelskreis der Allmenden-Plünderung zu durchbrechen: Früher versuchten alle, mit allen möglichen Mitteln so viele Fische wie möglich aus dem See zu holen, um den unregelmässigen Kontrollen der Fischereibehörde zu entgehen. So plünderten sie auch die kleinsten Fische oder Mutterfische zu Laichzeiten…
Heute haben die Fischer erkannt, dass sie alle mehr davon haben, wenn sie alle die Reglemente anwenden. In nur drei Jahren konnten sie ihre Erträge fast doppeln. Ausserdem nehmen sie die Fischereibehörde nicht mehr als Polizei wahr sondern als Ansprechpartner. Umgekehrt sind die Fischer nun so organisiert und ausgebildet, dass die Fischereibehörde mit einem (mehr oder weniger) funktionierenden Verein sprechen kann und nicht mehr mit „einem wilden Haufen feindlich gesinnter Fischer“ (Frei übersetzt aus Zitaten von der Fischereibehörde).
SAHA hat die Fischer zudem in Marketing und ähnlichem ausgebildet und die Fischer an Landwirtschaftsmessen in die Hauptstadt eingeladen. Dies hat den Fischern erlaubt, (auch aufgrund der verbesserten Qualität ihrer Fische) fast den doppelten (und ausserdem fixen) Preis zu verlangen.
Die extrem erhöhten Einkünfte der Fischer erlaubten es der Gemeinde ein Netzwerk von Kleinstprojekten aufzubauen, welche der ganzen Gemeinde mit ihren fast 10‘000 Einwohnern rosige, langfristige Entwicklungsperspektiven bietet (Bewässerung, Schulen, Markt,…).
2004 hat bei einem Zyklon der hiesige Fluss die gesamte Landschaft inklusive der Seen unter Wasser gesetzt. Seither leiden die Fischer unter eingeschleppten Wasserpflanzen. Zuerst war es einfach ein Blümchen und ein Älglein mehr im Teich. Aber nach und nach entpuppte sich dieser Wassersalat als ein extrem wachstumsorientiertes Ungetüm und droht nun regelmässig, den ganzen See komplett zuzudecken. Die eine Pflanze ist eine Alge und wächst so dicht unter der Wasseroberfläche dass die Netze kaum mehr genutzt werden können. Die andere ist eine Oberflächenpflanze, die den ganzen See zudecken kann. Den Fischen geht so buchstäblich „die Luft aus“.
Die Fischer sind ziemlich verzweifelt. Einerseits nehmen die Fänge bereits stark ab (und das ist ja die finanzielle Basis im Dorf geworden) und andererseits sind die Seen klein und untief. Wachsen die Pflanzen mit derselben Geschwindigkeit weiter wird der See wohl in ein paar Jahren mit moderiger Biomasse gefüllt und verschwunden sein. Es bleibt ihnen im Moment nichts anderes übrig als viel Arbeit damit aufzubringen, diese Pflanzen vor zu einzusammeln. Eine Seekuh wie bei uns kommt hier leider nicht in Frage…

Ein Fischer zeigt die neuen Wasserpflanzen. Die Alge links und der Wassersalat rechts. Beide drohen den See komplett zu verlanden.

Ein Fischer zeigt die neuen Wasserpflanzen. Die Alge links und der Wassersalat rechts. Beide drohen den See komplett zu verlanden.

Wie in vielen Fällen basiert die ganze Dynamik auf relativ wenigen, innovativen Individuen. Der Maire von Manambina und einige Vereinsvorsteher haben sich aus den Kursen von SAHA und seinen Partnern das für sie brauchbare rausgepickt, auf ihre Art angewendet und so diese Entwicklung ermöglicht. Sehr schön hat das die verantwortliche der Fischereibehörde beschrieben:
« ce qu’ils savent, ils mangent »
Man kann nur hoffen, dass diese der Gemeinde noch lange erhalten bleiben !

Hier noch einige Eindrücke von den Diskussionen mit den Dorfbewohnern:

Man sucht sich die schattigen Plätzchen

Man sucht sich die schattigen Plätzchen

und zieht schnell Zuschauer an

und zieht schnell Zuschauer an

und noch mehr Zuschauer

und noch mehr Zuschauer

und noch mehr Zuschauer

und noch mehr Zuschauer

Einwohner aus Ambalabe (Manambina)

Einwohner aus Ambalabe (Manambina)

auf eine angenehmere Zukunft

auf eine angenehmere Zukunft

die Stimmung stimmt jedenfalls

die Stimmung stimmt jedenfalls

Sodeli, das ist ein kleiner Einblick in einen Teil meiner Arbeit hier.
Falls euch dieser Beitrag etwas gar euphorisch wirkt: Ich habe ihn freiwillig geschrieben (und wurde nicht von SAHA dazu genötigt, Werbung zu machen) 🙂

Übrigens gibt es jetzt Intercooperation gar nicht mehr. Seit dem 1. Juli haben wir offiziell mit der Helvetas fusioniert (was ich toll finde) und heissen nun „Helvetas Swiss Intercooperation“ (was ich extrem unschön und unpraktisch finde…).

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